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Gawrocz

Gawrocz

Gawrocz (Frosch)

v. Kosmos

a.d. Gawra

geb. 13. Oktober 1971

gest. 02. Oktober 2004

Bis heute konnte ich nicht ermitteln, was Gawrocz übersetzt ins Deutsche eigentlich heißt. Weil der Name so im Auktionsprogramm stand, haben wir ihn beibehalten. Seitdem wir den Trakehner Fuchswallach immer mehr in unser Herz geschlossen haben, nannten wir ihn nur mehr liebevoll „Frosch“.

1975 suchte ich für meine Jugendreitschule Nachwuchspferde. Junge, rohe, also ungerittene Pferde mußten es sein. Diese sollten dann in aller Ruhe in Ihrer Ausbildungs-Prägephase an das spätere Leben mit Kindern herangeführt werden. Auf die zweifelhafte Vorauswahl der Händler wollte ich mich da nicht verlassen. So machte ich mich kurz entschlossen mit einigen Freunden in meinem Mercedes Bus auf den Weg ins Land der Polen.
Das Ziel war eine Auktion in dem Gestüt Kwidzyn, das ca. 70 km vor Danzig liegt.

Kwidzyn (bis Kriegsende hieß es Marienwerder) bei allen Pferdeleuten und auch sonst ein Begriff, war seit über 200 Jahren ein bekanntes Trakehnergestüt. Im ehemaligen Westpreußen gelegen, avancierte es schon 1777 zum Landgestüt.
Zehn Jahre später, 1787, wurde dort die halbe Elchschaufel als Brand auf dem rechten Hinterschenkel für dort gezogene Pferde erstmals eingeführt.
Ab 1963, diesmal unter polnischer Führung, beherbergte das Gestüt eine Hengstprüfungsanstalt.

Damit auch die Gestüte im nordpolnischen Raum ihre Pferde verkaufen konnten, wurde bestimmt, dass auswärtige Händler einen gewissen Prozentsatz ihrer polnischen Pferdeeinkäufe auf amtlichen Auktionen tätigen mußten.

Einer von vielen Erfahrungswerten und Leitsätzen im kaufmännischen Leben ist: „Im Einkauf liegt der Verdienst“.
Den kennen und kannten die Pferdehändler natürlich auch. Viele suchten deshalb die kleinen und größeren Bauernmärkte in Polen auf, weil dort billige Pferde angeboten wurden. Ein kaum risikobehaftetes Geschäft. Alles was  als Reit- oder Kutschpferd in Deutschland keinen Markt fand, kam mit etwas geringerem Gewinn nach Italien zum Metzger.
Ich erwartete in Polen nicht unbedingt günstigere Preise. Das heißt: ich nahm nicht an weniger bezahlen zu müssen als zu Hause. Meinen Vorteil sah ich darin, bessere Qualität im Vergleich zum Kauf beim Händler in Deutschland, auf der Auktion in Polen zu bekommen.
Da es meine erste Auktion war, bei der ich ein Pferd ersteigern wollte, war ich ganz schön aufgeregt. Dies verfolgte mich sogar bis in meine Träume.
Finanziell war ich nämlich nicht so gepolstert, daß ich jeden Preis für ein interessantes Pferd hätte hinblättern können.
Der Fuchswallach mit reiner Trakehner Abstammung, der mich sofort faszinierte, zählte intern, wie sollte es auch anders sein, zur Spitze des gesamten Auftriebs. Die polnische Military Olympia Mannschaft hatte ihn für ihren Nachwuchs auserkoren. Der höchste Aufwurfpreis der ganzen Auktion sollte dabei schützen, daß verlockende Devisen wieder einmal sportliche Absichten verhindern konnten.
Mit dem Gestütsschmied, mit dem ich mich vortrefflich verstand, gingen wir nach einer ausführlichen Betriebsbesichtigung, in ein Cafe im Ort. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich Einzelheiten über die Auktion, die mir Hoffnung machten. Der Schmied wußte zu berichten, daß die Händler nur auf die billigsten Pferde boten. Damit erfüllten sie ihr Einkaufssoll. Ich mußte also nicht befürchten, dass von dieser Seite die Preise hochgetrieben würden. Trotzdem: Der festgelegte Aufwurfpreis war sehr hoch und das bedrückte mich sehr. Mein geplanter und möglicher Finanzrahmen würde, selbst wenn kein einziges Gegengebot käme, empfindlich gesprengt.
Ich fühlte mit jeder Faser, dass dort im Stall das Pferd stand, das die Lücke schließen könnte, die der Tod meines geliebten Hengstes Kobi, vor einem Jahr gerissen hat.
Der hohe Preis, der mich mit großen Bedenken belastete, brachte mir die Warnungen meines Vaters in Erinnerung, die er mir zu seinen Lebzeiten vorsorglich mehrmals auf den Weg gab.

Drei Dinge gibt es im Leben, so hörte ich ihn sagen, die Probleme machen können.

An erster Stelle standen die Frauen.
Wesentlicher Teil und Voraussetzung für ein erfülltes Leben. Geliebt, begehrt und doch eine Vorhersage für viele unterschiedliche  Ereignisse und Umstände. Sie allein sind in der Lage, den geliebten Mann in Schwindel erregende Höhen oder in dunkelste Tiefen zu katapultieren.

An zweiter Stelle kamen sofort die Pferde.
Schon manchen haben sie, wie allgemein bekannt ist, auf die Gant gebracht.
Sie kosten täglich Geld, benötigen sehr viel Zuwendung und fordern ein Leben, das gewillt ist, Einschränkungen hinzunehmen. Einschränkungen, die auch der jeweilige Lebenspartner bereit sein muß, zu tragen.

Der dritte Punkt, so erinnere ich mich, war die Jagd.
Ebenfalls so eine Leidenschaft, die ähnlich gelagert ist und nicht nur schöne Seiten kennt.

In dem Moment war all dies nicht geeignet, mir weiter zu helfen. Kurzerhand verbannte ich alle guten Ratschläge einfach aus meinem Gedächtnis und wendete mich wieder meinen aktuellen Überlegungen zu. Dazu gehörte, daß ich wußte, daß zwei der von mir ausgewählten Pferde aus dem Gestüt in Liski stammten. Dort wurde die Zucht von Trakehner Pferden aus den alten, ostpreußischen Stammlinien betrieben.

Mit Spannung erwartete ich die kommenden Ereignisse.

In der Nacht wurde auf einer Wiese im Gestütsbereich eine mehrstöckige Tribüne errichtet. Sechs Sitzreihen über- und hintereinander angeordnet, boten Platz für viele Zuschauer. Nur etwa 50 Interessenten aus aller Welt waren gekommen. Eine hohe Hecke bildete den Hintergrund des Schauplatzes. Der Auktionator hatte sein mit kardinalrotem Samt überzogenes Podest seitlich neben der ersten Sitzreihe stehen und konnte somit die aufgetriebenen Pferde, als auch die Zuschauer im Blick haben. Von rechts wurden die Pferde von einem Gestütswärter vor die Zuschauer geführt. Dabei sollten sich die Pferde so vorteilhaft wie möglich präsentieren, was nicht immer gelang.

Ich fühlte mich, wie früher vor einer wichtigen Prüfung. Es war mir auch diesmal klar, dass der Ausgang von einem gehörigen Quentchen Glück abhängig war.

Wie meistens in derlei Fällen, konnte ich gut abschalten. Ich ließ mich einfach treiben. Ein mir wohl bekannter, glücklicher Mechanismus, der mich zur Ruhe brachte und einem Optimismus Raum gab, der den weiteren Verlauf bestimmte.

Wer bei der massigen Gestalt des Auktionators Behäbigkeit vermutete, hatte sich sehr geirrt. Wieselflink schwenkte er seinen Kugelbauch in der dunkelblauen, prall gefüllten Weste von einer Seite auf die andere. Die glänzenden Silberknöpfchen blitzten hochpoliert auf dem Leibchen und  zeigten immer dorthin, wo der aufmerksame Verkäufer ein rundes Täfelchen über die Zuschauerköpfe herausragen sah. Das nämlich bedeutete ein neues Gebot und damit mehr Geld. In seiner fleischigen Patschhand hielt er, graziös und locker, ein schlankes Stöckchen mit dem bekannten Holzproppen am oberen Ende. Zwischen den Fingerkuppen seines Zeigefingers, dem Mittelfinger und dem Daumen dirigierte er virtuos das dünne Rohr. Feinnervig zelebrierte er damit die ganze Veranstaltung. Mit der Behendigkeit eines Dirigenten hantierte er den Minihammer. Einmal weit ausholend, dann wieder unvermittelt und überraschend den Zuschlag „zum Dritten und Letzten“ klopfend, sorgte er für betörende Spannung.

Konzentriert, sehr erfahren und mit hinterhältiger Aufmerksamkeit schätzte er die Bieter genauso, wie die momentane Situation, ein. Je nachdem handelte er zögerlich, dann auch wieder blitzschnell und unvermittelt. Geschickt drängte, lobte oder umschmeichelte er beschwörend die Bieter. Wenn er fühlte, dass noch ein kleiner Schubs für ein höheres Gebot nötig war, wurden die Qualitäten des jeweiligen Pferdes mit fachkundigen Argumenten gepriesen.
Hartnäckig, manchmal auch leicht boshaft, stachelte er den potenten Käufer, vorsichtig an. Er scheute sich nicht, dessen Vermögen zu höherem Gebot anzuzweifeln.  
Immer hatte er die Lacher auf seiner Seite, wenn er mit Absicht und Eifer vom holperigen Deutsch in sein persönliches, sehr polnisch klingendes Englisch wechselte. Ging sein Temperament vollends mit ihm durch, passierte es schon, dass nur mehr einheimische Laute unverstanden aus seinem Munde prasselten.
Sein kugelrunder Schädel  rötete sich zusehends bis unter den sehr breiten Scheitel, über den die wenigen langen Haare sorgfältig drapiert, die glänzend kahle Stelle verdecken sollten.
Als leistete er Schwerstarbeit perlten dicke Schweißtropfen über Stirn und Wangen. So schwenkte er mit der rechten Hand den Hammer während die Linke mit dem Taschentuch sein Gesicht immer wieder abtupfte um es zu trocknen.

Zwei Gestütswärter in Uniform rannten zwischen dem jeweils vorgestellten Pferd und der Tribüne hin und her. Sie lasen die Nummer der Bieterkellen und eilten von einem Gebot zum anderen. Außerdem wurde die Kellennummer des letzten Bieters notiert, wenn der Auktionator den dritten Hammerschlag und damit den Zuschlag, auf das Pult knallte.

In der obersten Bankreihe hatte ich einen günstigen Platz eingenommen. Dort bot sich eine gute Übersicht über das ganze Geschehen. Zudem saß ich nicht gerade im Blickfeld der anderen Interessenten. Ich für meinen Teil hingegen  konnte sie gut beobachten. Nach welchen Kriterien die Verkaufspferde vorgestellt wurden, konnte ich nicht ergründen. Jene Pferde, die mit einem niederen Aufwurfpreis angeboten wurden, weil sie irgendwelche Mängel hatten, gingen sehr bald ohne Gebot zurück und wurden später von einigen deutschen Händlern ab Stall gekauft. 
Bei den beiden Trakehnern, die ich ausgewählt habe, dauerte es sehr lange bis endlich die dunkle Fuchsstute vor die Tribüne kam. Sofort begann ein wildes Bieten. Anscheinend hatte das Pferd mehrere private Liebhaber gefunden.

Ich hatte mir eine Strategie zurecht gelegt. Nur im äußersten Fall wollte ich  bieten, damit ich mich nicht unnötig selbst in die Höhe trieb. Das mir selbst gesetzte Limit, wollte ich keinesfalls überschreiten und erst dann ein Gebot abgeben, wenn der Auktionsverlauf ins Stocken kam und der Zuschlag unmittelbar zu erwarten war. Ohne dass ich nur einmal meine Tafel gehoben hatte, war meine Preisvorstellung für die Stute nach kurzer Zeit überboten. Ein Münchner war sichtlich hocherfreut, als er endlich den Zuschlag bekam und damit eine Menge Dollars zu zahlen hatte.

Nun konnte ich nur mehr auf den Fuchswallach hoffen. Zweifel kamen in mir hoch. Hätte ich vielleicht doch eine größere Auswahl treffen sollen? Was wäre, wenn ich gar keinen Zuschlag bekäme? Sollte die ganze Reise ein Flop gewesen sein? Lauter Gedanken, die mürbe machten. In mir rumorte es und erreichte bald einen Zustand, der dazu verleiten konnte, gegen alle Vernunft mehr Geld zu investieren.

Delfin, ein brauner Wallach, den ich eventuell in Erwägung gezogen habe, bekam kein Gebot. Das beruhigte mich wieder. Nach der Auktion bestand die Möglichkeit, wie mir der Schmied verraten hatte, den Kauf ab Stall zu tätigen. Das nahm ich mir auch sofort vor

Gawrocz

Zu den letzten Pferden, die vor die Tribüne kamen, gehörte der Trakehner Gawrocz. Im Gegensatz zu all den anderen Pferden wurde er nicht vorgeführt. Er hatte nämlich beschlossen, eine Ausnahme zu machen und stellte diesmal seinen Führer vor.

Ich sah beide schon von weitem kommen. Der Gestütswärter hatte auf dem Weg mit dem Temperament des Wallachs große Probleme. Als er die Auseinandersetzung durch Grobheit in den Griff bekommen wollte, mußte er hinnehmen, daß das Pferd mehr Kraft hatte und vor ihm die Arena betrat. Er folgte am letzten Ende des langen Führzügels mit Riesensprüngen, die er nur deshalb zustande brachte, weil ihm der Wallach dazu verhalf.
Genau vor den Zuschauern blieb Gawrocz stehen, warf den Kopf in die Höhe, spitzte die Ohren und präsentierte sich in seiner ganzen Schönheit. Just in dem Moment, als sich der Wärter neben ihm postierte und wieder Einfluß auf das Pferd nehmen wollte, zeigte Gawrocz, dass er nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Er tat dies auf sehr unfreundliche Weise. Zuerst stieg er, dann keilte er aus, riß den Kopf hoch und drehte dem Wärter in einer abrupten Kehrtwendung die Zügel kurz und knapp aus der Hand. Stolz aufgerichtet mit gespitzten Ohren stellte er sich nochmals vor die Zuschauer, schnaubte zweimal stoßweise aus geblähten Nüstern, wieherte mit Trompetenstimme und galoppierte buckelnd und auskeilend in Richtung zum Stall.
Mit hochgestellter Schweiffahne und wehender Mähne verschwand er zwischen den Gebäuden im Hintergrund. Jeder konnte somit sehen, was Gawrocz von der ganzen Sache hielt.

Der Auktionator gab kleinlaut den relativ hohen Aufwurfpreis bekannt. Er versuchte zu retten, was zu retten war und lobte den Fuchs über alle Maßen als sensibles Hochleistungspferd. Sein heutiges Verhalten wäre unbegreiflich und als die absolute Ausnahme zu sehen. Erfreulich für mich stellte er nach einiger Zeit fest, dass kein Gebot abgegeben wurde.
Gekauft habe ich nach der Auktion beim Direktor des Gestüts die beiden Pferde Gawrocz und Delfin vom Stall weg.

Gawrocz
Gawrocz

Gawrocz hatte im Moos sehr schnell viele „Fans“. Durch kooperative Arbeit und Freundlichkeit zeigte er uns vom ersten Tag an, daß er sich bei uns wohl fühlte. Er war ein sehr schönes Pferd, der seltsamer Weise nicht besonders photogen war. Das war sicher der Grund, weshalb nicht sehr viele Photos von ihm existieren.

Wie das so ist im Leben, vertiefte sich die gegenseitige Zuneigung zwischen Gawrocz und mir durch die gemeinsame Arbeit. Dabei war ich sehr bedacht darauf, nur gefühlvolle Reiterinnen auf seinen Sattel zu lassen. Meine Tochter verstand sich sehr gut mit dem Pferd und zeigte eine glückliche Hand bei der Grundausbildung. Andi, Christin Dannegger, Koslicki Kathrin, Fröhlich Iris und noch einige wenige gehörten zu den Auserwählten, die den Fuchs reiten durften. Voraussetzung dabei war, daß sie neben einem geschmeidigen Sitz im Gleichgewicht gefühlvoll einwirkten.

Gawrocz
Gawrocz

An einige Situationen mit Frosch kann ich mich genau erinnern:
Bei einem Konditionstraining auf der großen Koppel teilte ich der kleinen, achtjährigen Sabine Stuffer den „Frosch“ zu, was diese offensichtlich nicht als die richtige Wahl schätzte. In ruhigem Kanter ging die kleine Gruppe auf der großen Koppel außen herum, galoppierte durch den seichten Weiher zur kleinen Halbinsel dahinter und kam am Rande einer Fichten und Birkengruppe wieder zurück. Danach war ein etwa 30 cm tiefer Wassereinsprung in einen seichten Tümpel mit anschließendem Aussprung zu überwinden. Anschließend wurde die Hand gewechselt und der Rundritt wurde gegenläufig absolviert. Jedesmal, wenn Sabine bei mir vorbei kam, rief sie mir zu, daß sie mir etwas sagen müsse. Das Gesprächsthema ahnend vertröstete ich sie immer wieder auf einen späteren Zeitpunkt. Bei dem erfuhr ich wie erwartet, daß Sabine bei der Übung eigentlich nicht teilnehmen wollte.

In der Herde auf der Koppel übernahm Gawrocz die absolute Führung. Von Zeit zu Zeit umkreiste er in Imponierhaltung im Stechtrab oder Galopp seine grasende Gruppe und ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, wer das Sagen hatte. Der einzige Kontrahent, der sich nicht unterordnen wollte, war Kasimir. Interessant war, wie beide das Problem lösten. Außer kleinen Rangeleien gab es nie einen Kampf. Die beiden Wallache respektierten sich und gingen sich elegant aus dem Weg. Es entwickelten sich weder Provokationen, noch zeigte einer Gesten der Unterwürfigkeit.

Gawrocz
Gawrocz

Wie allgemein bekannt ist, fühlen sich die meisten Pferde bei Kälte wohler, als bei sommerlicher Hitze. Wenn ich so zurückdenke, erinnere ich mich an einen frostigen Wintertag. Schnee lag auf Dächern und Wiesen. Die Weiher auf unserer Koppel, die dank einer kleinen Strömung nur langsam zufroren, zeigten die erste, dünne, milchige Haut auf der Wasseroberfläche. So konnte der Neuschnee, ohne zu schmelzen, liegen bleiben. Im Stall mußte schon seit Tagen das Wasser abgestellt werden, damit die empfindlichen Teile der Tränkebecken nicht Schaden litten.
Das Tränken der Pferde aus Eimern kam also zur täglichen Versorgung der Pferde dazu. Damit das Tränken der Pferde vor der Abendfütterung bereits erledigt wurde, ließ ich die Pferde gegen Ende der Reitstunde an den Rand des „Doktorweihers“ reiten. Dort sollten sie, wie sie dies bei Weidegang im Sommer taten, ihren Durst stillen. Frosch mit Andi auf dem Rücken sollte den Anfang machen. Andi führte ihn also an den Uferrand, der nur wenige Zentimeter über der Wasserrobefläche lag. In einer Entfernung von etwa einem Schritt, zeigte sie dem Pferd durch Schenkeldruck, daß er näher an das Wasser herantreten sollte. Frosch interpretierte die Einwirkung der Reiterin falsch, spannte seinen Körper und machte einen riesengroßen Satz mitten hinein in den Weiher. Die Wassertiefe und der Schreck reichten aus, daß beide sofort untergingen und nach kurzer Zeit völlig verstört wieder auftauchten.

Der sumpfige Untergrund im Weiher erschwerte für beide den Ausstieg erheblich. Der morastige Boden saugte sich an den Beinen des Pferdes und an den Füßen der abgestiegenen Reiterin fest und erschwerte jede Bewegung. So erreichten sie das rettende Ufer. Frosch befreite sich mit heftigen Sprüngen aus dem aufgewirbelten Teich. Andi krabbelte wie eine getaufte Maus über den Uferrand auf die Wiese. Ich schickte die beiden sofort in den Stall. Als ich dorthin kam, rieb Andi schlotternd das Pferd ab und dachte erst nach meiner Aufforderung daran, sich selbst umzuziehen. Gott sei Dank hatten wir immer liegen gebliebene Kleidungsstücke von Jugendlichen.

Gawrocz
Gawrocz

Bei Turnieren, Vielseitigkeits- und Dressurprüfungen mit Gawrocz,  kamen unsere Reiter immer mit guten Placierungen nach Hause.

Am 29. Mai 1986 legte Andi mit Gawrocz in der Brandau das silberne Reitabzeichen ab.

Zur Reitwartvorbereitung und Prüfung ging Andi mit Frosch nach Mertingen. Liegl Heini, der Ausbilder, war von dem Trakehner Fuchs und seiner gefühlvollen Reiterin sehr angetan. Beide absolvierten dann auch zusammen die Prüfung mit Erfolg und Auszeichnung.

Gawrocz
Gawrocz

Wie dies so ist im Leben gibt es immer wieder angespannte Zeiten. Zwei Jahre lang verfolgten und behandelten wir eine in Intervallen auftretende Lahmheit bei Frosch, die uns viel Kummer bereitete. Das Bein, das vom Pferd immer wieder geschont wurde, zeigte keinerlei Auffälligkeiten. Es war weder dick, noch war eine Verletzung zu sehen. Auch wärmere Stellen, die auf eine Entzündung hingewiesen hätten, gab es nicht. Der konsultierte Tierarzt konnte keine Diagnose stellen und empfahl schließlich die Einlieferung in die Tierklinik nach München. Haustierärzte hatten damals noch keine mobilen Röntgengeräte und auch eine Ultraschalldiagnose war ambulant nicht möglich. Frau Dr. Böhm in der chirurgischen Tierklinik übernahm die weitere Behandlung. Es stellte sich heraus, daß ein sogenannter „Chip“ im Fesselgelenk, je nach jeweiliger Lage, die Lahmheit auslöste. Eine ziemlich unangenehme Angelegenheit.
Gelenkoperationen vermied man wegen damit verbundenen Risiken. Also blieb nur eine medikamentöse Behandlung. Wegen unangenehmer Nebenwirkungen auch nicht gerade eine erfreuliche Maßnahme. Der Fuß kam zudem noch in einen gipsähnlichen, ruhigstellenden Verband.
Als ich den Gawrocz wieder heim holte, begann erst einmal eine unschöne Leidenszeit. Er durfte natürlich nicht auf die Koppel und mußte alleine im Stall in seiner Boxe bleiben. Das konnte er überhaupt nicht verstehen. Was aber noch viel schlimmer war, die vielen Spritzen und Medikamente hatten der Darmflora sehr zugesetzt. Koliken waren deshalb fast täglich zu behandeln.
Abends stellte ich vor Gawroczs Boxe ein Feldbett auf, auf dem die jeweilige Wache die Nacht verbrachte.
Nachtwachen im Stall sind während der ersten Nächte nicht sehr erholsam. Da muß man sich erst an die verschiedensten Geräusche gewöhnen. Tränkebecken klappern. Das Tränkwasser rauscht unter den schmatzenden Pferdemäulern. Beim Hinlegen der Tiere wird gestöhnt und geprustet, daß das eigene Gehör sensibilisiert wird und hellwach auf weitere Signale wartet. Das Scharren mit den Hufen schreckt den Wächter besonders dann, wenn die Boxenwand getroffen wird. Lautes quietschen zeigt nur an, daß zwei Pferde mit den Nüstern Kontakt aufgenommen haben. Wie man sieht, gibt es eine Unmenge an Geräuschen, die der Fantasie Stoff für alle möglichen Gedanken liefert.
So gegen zwei Uhr tritt plötzlich absolute Ruhe ein. Das verblüfft dann aber auch wieder, weil sich gar nichts mehr rührt. So, als wären keine Pferde mehr im Stall entsteht ein alarmierender Kontrast zu den Stunden vorher.
Nach etwa einer weiteren Stunde stellt sich allmählich der ursprüngliche Geräuschpegel wieder ein und erreicht kurz darauf seine anfängliche Lautstärke.
Die Gefahr während der folgenden Nächte ist dann die Gewöhnung. Die Geräusche beunruhigen den Schlafenden nicht mehr. Sie haben alle ihre Zuordnung erhalten und der Tiefschlaf überdeckt vollkommen die Wächterabsicht.
Da hilft dann nur der eingestellte Wecker, der an das kranke Pferd erinnert und zu weiterer Beobachtung aufrüttelt.

Drei Wochen sollte der gipsähnliche Verband das kranke Bein ruhig stellen. Dann war geplant, daß Frosch erneut in die Klinik gebracht werden sollte um den Verband abnehmen zu lassen. Normalerweise wäre ein sägeartiges Band in die steinharte Hülle eingebaut worden. Dadurch wäre das Aufschneiden wesentlich erleichtert worden. In diesem Falle wurde diese Vorsorge nicht getroffen.
Ich wollte nicht, daß durch erneute medikamentöse Behandlung die Verdauung des Pferdes gestört würde und beschloß, die Entfernung der harten Schale selbst vorzunehmen. Die einzige Möglichkeit, die ich dabei hatte, war der Einsatz meines kleinen Seitenschneiders. Ein sehr lautes Gerät, das für Pferdeohren erschreckend klingen mußte. Zudem durfte der scharfe Schnitt nicht durch eine hektische Bewegung des Beines gestört werden. Nicht auszudenken, welch häßliche Verletzungen verursacht werden hätte können. Ich gewöhnte das Pferd behutsam an das kreischende Geräusch der Maschine. Da mir Frosch vertraute, konnte ich vorsichtig die hochtourig laufende Trennscheibe ansetzen. Zufällig kam eben in diesem Moment unser Tierarzt, der uns ab und zu besuchte, vorbei und beobachtete gespannt, wie ich den Eingriff begann. Andi hielt Frosch am Halfter und sprach beruhigend auf ihn ein. Ich kniete vor dem Pferdebein und konzentrierte mich darauf, den Schnitt präzise und vorsichtig so durchzuführen, daß das harte Material des Verbandes getrennt wurde, ohne die Haut, die ja unmittelbar darunter lag, zu verletzen. Ich kann nicht einmal sagen, daß es eine „Zitterpartie“ war, weil ich diesen Zustand in diesem Moment überhaupt nicht gebrauchen hätte können. Der etwa 40 cm lange Schnitt gelang mir auch einwandfrei. Gawrocz half dadurch aktiv mit, daß er in vertrauensvoller Ruhe verharrte und mich dadurch schalten und walten ließ. Der Schnitt war durch. Der harte Verband jedoch ließ sich nicht entfernen. Die Spannung der knochenharten Schale ließ die Entfernung einfach nicht zu. Ein neuer Schnitt war notwendig. Erst nachdem ein breiter Streifen abgeflext war, konnte das Bein freigelegt werden.
Nach zwei Jahren war damit diese aufregende Episode überstanden. Gott sei Dank auch endgültig beendet.
Das Leben ging weiter. Gawrocz durfte auf die Koppel und wir hatten unseren Partner wieder beim täglichen Zusammensein und auf dem Reitplatz und im Gelände.

Gawrocz
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Niemandem wird erspart, daß er die Vertreibung aus „dem Paradies“ erlebt. Es muß nicht gerade das Paradies sein, das er verlassen muß. Die Welt ist groß und die Möglichkeiten vielschichtig und unermeßlich.
Kinder verlassen ihr Elternhaus. Familien finden sich wieder in einer anderen Stadt oder sogar in einem anderen Land. Wir, und damit unser ganzes Umfeld, haben inzwischen schon einige Erfahrung im Wechsel und in der Neuorientierung.
Immer wieder ein Anfang, neue Aufgaben, andere Menschen und viele, verschiedene Situationen, die von Glück bis zu aufwühlenden Ereignissen reichen. Das Leben zeigte sich immer wieder in all seinen bunten Facetten.

1995 war der Umzug nach Thüringen endlich abgeschlossen und die Umbauten weit fortgeschritten.

Herrliche Ausritte in der zauberhaften Umgebung entschädigten viele der Unbilder der vergangenen Jahre. Die riesengroßen, abgeernteten Felder der neu entstandenen Agrargenossenschaften boten nach der Ernte Reiterlebnisse der besonderen Art.
Gawrocz, inzwischen ein älterer Herr, zeigte seine Vertrautheit zu mir mehr und mehr. Allmählich bewegte er sich auf sein Altenteil zu. Der Koppelaufenthalt wurde ein täglicher Zustand. Seine Bewegungen wurden ruhiger und bedächtiger. Er legte keinen Wert mehr auf die gewohnte Rangspitze in der Herde. Geachtet und voll akzeptiert führte er ein ruhiges und beschauliches Leben. Natürlich blieb nicht aus, daß seine Muskulatur schwächer wurde, sich mehr graue Haare im Gesicht ausbreiteten und der Schweif nicht mehr die Fülle hatte, die wir gewohnt waren.
33 Jahre war er inzwischen geworden Er überlebte manchen Stall- und Weidegenossen, der sich in die himmlischen Weidegründe verabschiedete. Einige Fohlen, die im Stall zur Welt kamen, begrüßte er, wie dies immer schon üblich war, mit einem freundlichen Wiehern. Wie dies halt so ist in einem Stall, in dem die Bewohner zu Hause sind und sich wohl fühlen.

Gawrocz
Gawrocz
Gawrocz
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Eine Kinderkrankheit sollte meinem Trakehner zum Verhängnis werden. Zwei ziemlich vernachlässigte Fohlen, die wir bei uns aufnahmen, weil sie uns leid taten, machten zwar einen gesunden Eindruck, schleppten aber doch die Druse in unseren Stall ein. Ein junges Shetty starb daran in der Klinik in Leipzig. Gawrocz wurde schließlich auch befallen. Einige Tage hielt er tapfer durch. Dann versagte der Kreislauf.

Ich saß noch lange neben ihm im Stroh. Lange nachdem sein Atem aufgehört hatte seinen Brustkorb zu heben.
Es war still in dem großen Stall. Das Licht breitete sich wie ein warmer Teppich über uns aus. Meine Gedanken kreisten wirr wie zerrissene Fetzen im Raum. Allmählich ordneten sie sich und blieben in einer Wolke tiefer Traurigkeit um uns herum.
Eigentlich, so kam mir in den Sinn, sollte ich dafür dankbar sein, daß wir so viele Jahre zusammen durchs Leben gehen durften.
Gemeinsame Erlebnisse kamen mir in den Sinn. Momente des Glücks. Erinnerungen, die ein Fenster mit der Gewißheit aufstießen, daß sie es sind, die mir immer bleiben werden.
So war es dann auch. Gawrocz blieb in meinem Herzen wie ein verborgener Schatz und gehört auch heute noch immer zu meinem Leben.

Gawrocz wurde am 13. 10. 1971 in Polen geboren.
Sein Vater war Kosmos
Seine Mutter war Gawra
Gestorben ist Gawrocz am 02. 10. 2004 in Zöthen

Gawrocz

 

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